Haltepunkt Erzgebirge

Was Putin auf der Krim wirklich suchte

Was Putin auf der Krim wirklich suchte

Mit Anatoli Wladimirowitsch L. unterwegs in Jalta auf der Krim.
Mit Anatoli Wladimirowitsch L. unterwegs in Jalta auf der Krim.
Schwarzenberg | Jalta (Ялта), 13. April 2014. Die Gelegenheit zur Berichterstattung von den Ereignissen auf der Krim nutzte ein Recherchekollektiv des Görlitzer Anzeigers, um auf Spurensuche im Zusammenhang mit den Nachkriegsereignissen auf dem Gebiet der damaligen Amtshauptmannschaft Schwarzenberg im Erzgebirge zu gehen. "Alles deutet darauf hin, dass das Schicksal von Schwarzenberg in Jalta entschieden wurde und sich auch hier vollendet", so der Berichterstatter Fritz. R. Stänker kurz nach der Rückkehr.

Besonders beeindruckend war die Begegnung mit Anatoli Wladimirowitsch L., dem Sohn von Wladimir Sergejewitsch (er hatte das Schwarzenberger Stadtwappen mit Ritter Georg und dem Drachen zum KGB-Logo gemacht, siehe "Die Vergangenheit besteht fort").

"Mit seinem alten SIM fuhr er uns durch die Stadt und zeigte uns auch den Liwadija-Palast, wo Anfang Februar 1945 ein Gipfeltreffen der Alliierten stattfand. Hier beschlossen die späteren Siegermächte ihre Einflusszonen in Europa sowie die Aufteilung Deutschlands in Besatzungszonen," ist Stänker noch immer begeistert.

Nur spezialisierten Historikern bekannt sind die in diesem Zusammenhang getroffenen Geheimabsprachen zur Kriegserklärung der Sowjetunion gegen Japan, zur Besatzungsfreiheit der Amtshauptmannschaft Schwarzenberg und zur Repatriierung von Sowjetbürgern, die als Zwangsarbeiter in Deutschland arbeiteten oder in der Wlassow-Armee gekämpft hatten.

Warum dieses Interesse an Schwarzenberg?

Neben der Absicht der Alliierten, im Schwarzenberger Gebiet (Щварценбергская Область) eine politische Sonderzone zu errichten, in der man unterschiedliche Regierungs- und Verwaltungsmodelle für das zukünftige Deutschland ausprobieren kann, gab ein noch ein weiteres handfestes Interesse: Man brauchte eine neutrale Zone, wo alles hingebracht werden sollte, worüber man sich in auf der Konferenz von Jalta nicht einigen konnte – so auch das legendäre Bernsteinzimmer.

Der Weg des Bernsteinzimmers bis nach Königsberg –
ein geschichtlicher Exkurs


Das Bernsteinzimmer war eigentlich für das Charlottenburger Schloss angefertigt worden, wo sich Zar Peter der Große bei einem Besuch dafür begeisterte. Das nutzte der Alte Fritz, um das Zimmer gegen Soldaten mit dem Gardemaß der "Langen Kerls" einzutauschen. Peters Tochter, die Zarin Elisabeth, ließ das Bernsteinzimmer erweitern und im St. Petersburger Winterpalast installieren, später dann im Katharinenpalast in Zarskoje Selo, wo es zu seiner endgültigen Größe erweitert wurde.

Als sich 1941 hier die Wehrmacht einquartierte, wurde das Bernsteinzimmer wenige Wochen später in 28 Transportkisten nach Königsberg gebracht, wo es im Königsberger Schloss in Teilen aufgebaut und ausgestellt wurde. Nach einem Brand wurde das Zimmer vermutlich im Keller des Königsschlosses eingelagert.

Als am wahrscheinlichsten galt bisher, dass das Bernsteinzimmer noch immer in den Kellern oder in einem unterirdischen Verbindungsgang zum Königsberger Dom lagert. Das Königsberger Schloss - 1944 von den Engländern bombardiert und 1945 stark beschädigt – war 1968 auf Befehl Breschnews abgerissen worden. Das an gleicher Steller errichtete Haus der Sowjets ereilte das Schicksal des Kommunismus: Es wurde wegen seiner verkorksten Statik nie fertiggestellt. Erhalten geblieben sind die tiefen Schlosskelleranlagen samst Dokumentation, die allerdings bis heute nicht zugänglich sind.

Wie es mit dem Bernsteinzimmer weiterging

Nicht belegbar ist bis heute, wie das Bernsteinzimmer in den Wirren des zu Ende gehenden Krieges über die Oder bis nach Schwarzenberg im Erzgebirge gebracht werden konnte. Der genaue Lagerort ist nur wenigen Eingeweihten bekannt, so dem Kunstsammler Cornelius Gurlitt (Quellen: FOCUS vom 7. November 2013, RP-Online vom 8. November 2013).

Allerdings deuten auch die Zeichen der Zeit auf den Schwarzenberger Spiegelwald, genauer gesagt den Treue Freundschaft Stollen, der bis ins Altbergbaugebiet unter dem sagenumwobenen Graul führt.

Die voreilig installierte Einschienenbahn zum Abtransport der Bernsteinzimmerkisten durch die Stollen erwies sich als nutzlos, das Versteck war bereits geräumt.
Die voreilig installierte Einschienenbahn zum Abtransport der Bernsteinzimmerkisten durch die Stollen erwies sich als nutzlos, das Versteck war bereits geräumt.

Unter dem Vorwand von Bergsicherungsarbeiten waren die Stollensysteme im Jahr 2006 intensiv erkundet worden.

Zurück nach Jalta: Beim der Einstimmung auf das Abendessen dienenden Wodkatrinken steht Anatoli Wladimirowitsch nach einem schwermütigen Gesangsbeitrag urplötzlich auf und holt aus der Schrankwand ein Fotoalbum. Es ist die Fotodokumentation des Weges des Bernsteinzimmers von Schwarzenberg bis nach Jalta! Schlagartig sind die deutschen Gäste Anatoli Wladimirowitschs stocknüchtern und lauschen, wie er die Erzählungen seines Vaters wiedergibt.

Und wieder passt ein neues Puzzleteil zum Ergebnis der bisherigen Recherchen (Zeitzeugentreffen – und das Bernsteinzimmer?), zu Putins geheimen Aufenthalt an der Gelben Birke bei Schwarzenberg und dem ominösen Ministerbesuch im Bergwerk:

Wie Anatoli mit zunehmend schwerer werdender Zunge berichtet, ist das Bernsteinzimmer 1964 bei einer Nacht und Nebel Aktion in Schwarzenberg abgeholt worden. Hintergrund sei der in der ehemals unbesetzten Zone weiterlebende Gedanke an die Freie Republik Schwarzenberg gewesen, der den Sowjets Angst vor Kontrollverlust machte: "Damit niemand Verdacht schöpft, sollten die Kisten in Limousinen transportiert werden."

Aus Anatoli Wladimirowitschs Fotoalbum:<br />Die ersten Bernsteinzimmer-Kisten (abschreckend als russisches Kompott deklariert) wurden  zur Tarnung  in Limousinen aus Schwarzenberg abgeholt.
Aus Anatoli Wladimirowitschs Fotoalbum:
Die ersten Bernsteinzimmer-Kisten (abschreckend als russisches Kompott deklariert) wurden zur Tarnung in Limousinen aus Schwarzenberg abgeholt.

Doch gerade die großen schwarzen Karossen waren zu auffällig auf den Erzgebirgsstraßen. Schon wurde getuschelt und allerlei gemunkelt. Deshalb ging man zum Transport in Militär-Lastwagen über, die unter dem Namen Schweine-SIL bekannt waren und zum alltäglichen Straßenbild in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) gehörten.

Seltene Aufnahme: Schweine-SIL im Schwarzwassertal in Schwarzenberg.
Seltene Aufnahme: Schweine-SIL im Schwarzwassertal in Schwarzenberg.
U-Boot-Kommandant am Steuer.
U-Boot-Kommandant am Steuer.
Geleitet wurden die Transporte nicht etwa wie zu erwarten vom Geheimdienst KGB, sondern von erfahrenen von Offizieren der sowjetischen U-Boot-Flotte.

Der Grund dafür zeigte sich erst nach der russischen Krim-Besetzung 50 Jahre später: Hauptziel des Handstreichs war die Beschlagnahmung des einzigen U-Boots der Ukraine.

Schießerei an der Neiße

Ganz ohne Komplikationen liefen die Transporte nicht ab. Weil man verhindern wollte, dass die Lkw samst Ladung in Polen abhanden kommen, sollte das Brudervolk möglichst nichts von der Aktion merken, weshalb zum Grenzübertritt eine Neiße-Furt nördlich von Görlitz genutzt wurde.

Kaum war man durch die Neiße gelangt, kam es zu einem Feuerüberfall durch Uniformierte. Die Angreifer wurden niedergestreckt. Um den Vorfall zu vertuschen, zog man den Leichen deutsche Wehrmachtsuniformen an und verscharrte sie am Waldrand. Nachdem Anfang Dezember 2013 der erste uniformierte zum Skelett abgemagerte Tote am Waldrand auf der östlichen Neißeseite gefunden wurde und nachfolgend weitere, scheint der Bericht Anatoli Wladimirowitschs bestätigt.

Die historische Stelle, wo zum Kriegsende eine Brücke gesprengt worden war, kann heute gut besichtigt werden, befindet sich hier doch der Schwimmsteg, der den Abenteuerfreizeitpark der Kulturinsel Einsiedel mit dem polnischen Erlebnisdorf Nieder Bielau (Bielawa Dolna) verbindet.

Der Schwimmsteg - hier noch im Bau - nach Polen. Rund hundert Meter weiter rechts wurden 2013 die Skelette in Wehrmachtsuniform gefunden.
Der Schwimmsteg - hier noch im Bau - nach Polen. Rund hundert Meter weiter rechts wurden 2013 die Skelette in Wehrmachtsuniform gefunden.

Weiter gingen die Transporte über Breslau, Krakau und Rzeszów in die damalige Ukrainische ASSR (Autonome Sozialistische Sowjetrepublik) nach Lemberg. Dort wurde, wenn die Erinnerungen stimmen, der Inhalt der Kisten katalogisiert und umgeladen. Die weiteren Stationen waren Vinnytsia, Mykolaiv, Kherson, Simferopol und schließlich Jalta.

Das Boot!

Hier im Schwarzmeer-Kurort wurde das Bernsteinzimmer in der geheimen Wohnung des erzgebirgischen Kunstsammlers G. zwischengelagert und von dort nach Sewastopol an einen denkbar sicheren Ort, auf ein U-Boot, gebracht.

Damit erklärt sich, warum beim Abtransport aus Schwarzenberg U-Boot-Offiziere maßgeblich beteiligt waren. Auf deren gute Kontakte zur Bevölkerung weist übrigens hin, dass einige ihre Uniformen gegen Bergarbeiterschnaps (im Volksmund "Kumpeltod") eingetauscht haben. Diese werden noch heute zu Feierlichkeiten in Schwarzenberg gern getragen.

Uniform statt Dirndl: Die Schwarzenberger sind geschichtsbewusst.
Uniform statt Dirndl: Die Schwarzenberger sind geschichtsbewusst.

Bernsteinzimmer - wohin geht die Reise?

Die Information, wonach das Bernsteinzimmer auf dem einzigen ukrainischen U-Boot lagern soll, das beim Zerfall der Sowjetunion versehentlich zurückgeblieben war (andere sagen, es wäre gegen einen Eisenbahnwaggon voll Wodka an einen gewissen Trödelfranz verscherbelt worden, der es dann gewinnbringend an den neuen ukrainischen Staat verkaufte), dürfte bei Putin der letzte Auslöser für den Entschluss zur Besetzung der Krim gewesen sein.

Im Handstreich gelang es der Roten Armee, das U-Boot namens Saporoschje im Militärstützpunkt Belbek bei Sewastopol zu entern (weitere Darstellungen kursieren, siehe FAZ und Die Welt).

Damit soll endlich aus der Geschichte getilgt werden, dass die Rote Armee bei der Verteidigung Leningrads das Bernsteinzimmer in Zarskoje Selo – notdürftig mit Pappe vernagelt – zurückgelassen hatte.

Was Putin nun mit dem Bernsteinzimmer vorhat, darüber kann auch Anatoli Wladimirowitsch nur Mutmaßungen anstellen: "Sicher würde es einen guten Eindruck machen, wenn er auf seiner Datscha Gäste empfängt und sie im Bernsteinzimmer übernachten lässt."

Ein Beitrag des Recherchekollektivs des Görlitzer Anzeigers unter Federführung von Fritz R. Stänker. Da die Materie kompliziert ist, können Verwechslungen und Irrtümer nicht ausgeschlossen werden.

Nachsatz: Schwarzenberg auf den Meeren der Welt

Der Arm des Vaters von Anatoli Wladimirowitsch, des legendären Wladimir Sergejewitsch, dem die besondere Beziehung zum erzgebirgischen Schwarzenberg zu verdanken ist, schien weiter zu reichen als gedacht:


Nicht nur der russische Inlandsgeheimdienst FSB (Федеральная служба безопасности Российской Федерации), sondern auch die Russische Seekriegsflotte (Военно-Морской Флот Российской Федерации) hat das Schwarzenberger Stadtwappen mit Ritter Georg und dem Drachen in ihr Logo aufgenommen.